Expertenbefragung stellt Pläne für Nord Stream 2 infrage
Mit der Befragung der Energieökonomin Claudia Kemfert und des Unternehmensberaters Friedbert Pflüger hat der Untersuchungsausschuss zur Klimastiftung MV hinterfragt, wie es zur Entscheidung für den Bau der Pipeline Nord Stream 2 kam. Einigkeit herrschte dabei am Freitag in der Sache nur an wenigen Punkten. Beide Sachverständige versuchten im Schweriner Landtag darzulegen, wie sich das Für und Wider der Pipeline im Jahr 2015 dargestellt habe.
Kemfert zeigte sich sicher: Auch ohne den Bau der Pipeline habe keine Lücke bei der Erdgas-Verfügbarkeit in Europa bestanden, so die Wissenschaftlerin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Pflüger dagegen sagte, Erdgas-Projekte wie Nord Stream 2 seien aus damaliger Sicht notwendig an. 2015 habe ein EU-Szenario eine nahezu gleichbleibende Gasnachfrage prognostiziert, etwa zeitgleich sei aber eine sinkende Produktion in Europa absehbar gewesen. Eine Importlücke von 70 bis 100 Milliarden Kubikmetern Gas sei etwa für das Jahr 2020 erwartet worden.
Die DIW-Expertin verwies hingegen sowohl auf eine Unterauslastung bestehender Flüssigerdgas-Terminals (LNG) von nur rund 25 Prozent als auch auf freie Kapazitäten der Gas-Transit-Leitung aus Russland durch die Ukraine.
Aus Sicht von Kemfert wurde der Bau der Pipeline von Russland nicht aus ökonomischen, sondern aus geostrategischen Beweggründen vorangetrieben. Es habe eine Infrastruktur geschaffen werden sollen, um den Transit von russischem Erdgas durch die Ukraine zu umgehen. Wirtschaftlich war das aus Sicht der Forscherin aber nicht.
Den Kosten für den Bau der Pipeline von 17 Milliarden US-Dollar hätten angenommene Ersparnisse an Durchleitungsgebühren von 700 Millionen Euro jährlich gegenüber gestanden. Kemfert bezog sich sowohl auf Erkenntnisse einer norwegischen Forschungsgruppe als auch auf eine Analyse der russischen Sberbank, wonach das Projekt aus russischer Sicht unrentabel war.
Dass Russland geostrategische Gründe bewogen hätten, die Pipeline Nord Stream 2 zu unterstützten, schließt Pflüger nicht aus. Trotzdem sei aus der Perspektive des Jahres 2015 nicht absehbar gewesen, dass Russland als zuverlässiger Lieferant ausfallen würde. Dass Gazprom Geld in ein nicht wirtschaftliches Projekt gesteckt hätte, hielt Pflüger nicht für wahrscheinlich. Die jährliche Ersparnis aus wegfallenden Transitgebühren in der Ukraine bezifferte er auf 2 Milliarden Euro. Zudem hätte laut Pflüger das ukrainische Netz zur Nutzung der freien Kapazitäten ertüchtigt werden müssen, dies wäre aus seiner Sicht teurer gewesen als der Neubau in der Ostsee.
Der Unternehmensberater betonte am Freitag mehrfach, dass man sich in die damalige Perspektive hineinversetzen müsse und nicht mit dem Wissen von heute urteilen sollte. Auch er habe sich damals bereits dafür eingesetzt, alternative Lieferanten zu Russland zu finden, es habe aber keine wettbewerbsfähigen gegeben.
Wegen einer hohen Nachfrage in Asien sei beispielsweise Flüssigerdgas (LNG) aus den USA deutlich teurer gewesen als russisches Pipeline-Gas. Pflüger, Aufsichtsratsvorsitzender des Branchenverbands «Zukunft Gas», sagte, er habe sich für ein LNG-Termin in Deutschland eingesetzt, jedoch habe kein Investor damals aus Kostengründen langfristig Kapazitäten buchen wollen.
Die Energieökonomin Kemfert warnte aus klimapolitischer Hinsicht vor drohenden klimatischen Kipppunkten im nächsten Jahrzehnt. Die klimaschädliche Wirkung von Erdgas, das größtenteils aus Methan bestehe, sei lange deutlich unterschätzt worden. Seit spätestens 2016 habe es jedoch robuste wissenschaftliche Erkenntnisse dazu gegeben. Der Neubau von Gasinfrastruktur sei nicht mit den Klimazielen vereinbar, dies binde langfristig an die Nutzung der entsprechenden Technologie.
In Bezug auf die Energiewende stellte Pflüger infrage, ob der Ausbau der erneuerbaren Energien mit dem steigenden Stromverbrauch etwa durch E-Mobilität oder Wärmepumpen mithalten könne. Seiner Ansicht nach brauche es auch hier weiter Gas zur Stromerzeugung.
Während die Grünen in der Befragung die Legitimation Pflügers als Sachverständiger anzweifelten, warf die SPD Kemfert vor, sich konsequent verweigert zu haben. Der Obmann der Sozialdemokraten, Thomas Krüger, bezeichnete es als befremdlich, wenn «meist nur einsilbig oder mit nichtssagenden Floskeln» geantwortet werde.
Er warf Kemfert vor, dass ihr wissenschaftliches Plädoyer für erneuerbare Energien den konkreten Herausforderungen im Jahr 2015 nicht gerecht geworden wäre. Die CDU nahm Kemfert gegen diese Kritik in Schutz: «Politik mag Machtkriterien folgen, Wissenschaft folgt der Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit», sagte deren Obmann Sebastian Ehlers.