Preissteigerungen gefährden soziale Einrichtungen

Eine warme Stube, eine günstige Mahlzeit, Zugang zu Sanitäranlagen - Obdachlose, die in die Tagesaufenthaltsstätte Panama in Kassel kommen, werden dort mit dem Notwendigsten versorgt. Das Angebot des Vereins Soziale Hilfe Kassel finanziert sich überwiegend durch Spenden. Die Zuwendungen sind in Zeiten steigender Energie- und Lebensmittelkosten notwendiger, zugleich jedoch knapper denn je. «Langjährige Spender können uns angesichts ihrer eigenen finanziellen Situation nicht länger unterstützen», berichtet die Fundraiserin und Sprecherin des Vereins, Anja Krätke.

Auch Essensspenden etwa aus den Kantinen umliegender Unternehmen nähmen ab. «Das bringt uns an unsere Kapazitätsgrenzen», sagt Krätke. Finanziert werden müssen auch die Notschlafstellen, mit denen der Verein Wohnungslosen im Winter eine schützende Bleibe bietet. «Mir graut schon vor den Energiekosten», sagt Panama-Leiterin Amrei Tripp.

Wie der Sozialen Hilfe Kassel geht es einem Großteil der gemeinnützigen sozialen Einrichtungen und Dienste in Hessen. Einer Umfrage des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zufolge sehen sich 89 Prozent der befragten 209 Organisationen im Bundesland vor dem Hintergrund der Kostenexplosion in ihrer Existenz gefährdet. 42 Prozent von ihnen geben an, dass sie es ohne Hilfe maximal ein Jahr schaffen, ihre Angebote weiterzuführen. «Die Situation ist sehr beunruhigend und wird sich noch verschärfen», sagt Landesgeschäftsführerin Yasmin Alinaghi. Sie warnt vor einer Insolvenzwelle.

Der Paritätische fordert deshalb einen umfassenden Schutzschirm für soziale Einrichtungen und Dienste. Der Verband geht davon aus, dass bundesweit ein zweistelliger Milliardenbetrag notwendig ist - allein in Hessen grob geschätzt ein einstelliger Milliardenbetrag. Bund, Länder und Kommunen müssten schnellstmöglich unbürokratisch verlässliche und finanziell auskömmliche Absicherung schaffen.

Das hessische Sozialministerium verweist auf die Einigung der Landtagsfraktionen von CDU, Grüne, SPD und FDP auf Eckpunkte für ein 200 Millionen Euro schweres Landeshilfsprogramm. «Die Unterstützung für soziale Einrichtungen ist ein Teil dieses Landesprogramms – folglich ist aber auch nur ein Teil des Gesamtvolumens von insgesamt 200 Millionen Euro dafür vorgesehen», teilt ein Sprecher mit.

Das sei zwar ein Hoffnungsschimmer, sagt der Vorstandsvorsitzende beim Frankfurter Verband für Alten- und Behindertenhilfe, Frédéric Lauscher. «Die Erfahrung zeigt aber, dass man erst abwarten muss, was am Ende wirklich ankommt.» Lauscher berichtet von multiplen Problemlagen in der Pflege. «Wir haben eine extreme Belastung und Erschöpfung der Mitarbeitenden auf allen Ebenen durch die Corona-Pandemie, hohe Fehlzeiten sowie einen Mangel an Arbeitskräften.» Die Kostensteigerungen könnten das Fass zum Überlaufen bringen. «Wir stehen vor der Gefahr eines Kollaps des Systems», warnt er.

«Wenn es keine schnelle Hilfe gibt, sehe ich besonders für Einrichtungen schwarz, die nicht über eine Regelversorgung verfügen, sondern allein von Zuschüssen leben.» Es drohten ein eingeschränktes Angebot und die Unterversorgung pflegebedürftiger Menschen. «Das würde brutale Einschnitte bedeuten, die sich unsere Gesellschaft eigentlich nicht leisten kann», betont Lauscher.

Schnelle Hilfe fordert auch Matz Mattern, Landesgeschäftsführer des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) Hessen. «Steigende Energie- und Lebensmittelkosten wirken sich auf alle unsere Leistungsbereiche hier in Hessen aus, egal ob Pflege, Rettungsdienst, Kindergarten oder weitere soziale Dienste», sagt er. Sie träfen soziale Organisationen wie den ASB mit voller Wucht.

Die Preissteigerungen an die Kunden weiterzugeben, sei äußerst schwierig. In der Pflege etwa könne das bei gleichzeitig nicht stattfindender Leistungsanpassung der Pflegeversicherung dazu führen, das weniger Leistungen als tatsächlich benötigt in Anspruch genommen würden. Die Problematik trete vor allem bei den ohnehin ärmeren Kunden auf. «Es handelt sich um eine Verschärfung sozialer Ungleichheit», so Mattern.

Beim sogenannten Essen auf Rädern sei bereits spürbar, dass die Seniorinnen und Senioren teilweise nicht mehr bezahlen könnten. Auch beim Catering in Kitas und Schulen werde sich die Kostensteigerung bemerkbar machen. Der ASB werde alles daransetzen, sein Angebot aufrecht zu erhalten, betont Mattern. «Doch die zum Teil fehlende Refinanzierung und die deutlichen Kostensteigerungen erschweren das.»

Alarm schlägt auch Marion Lusar vom FeM Mädchenhaus Frankfurt. Sie fürchtet eine Verachtfachung der Stromkosten und eine Verdopplung der Gaskosten. Die Einrichtung bietet neben Beratungsstellen und Begegnungsräumen unter anderem auch Schutzwohnungen für von Gewalt betroffene Mädchen an. Die erste Mieterhöhung für ein Objekt sei schon ins Haus geflattert, berichtet Lusar. «Mir macht die fehlende Perspektive große Sorge.» Die Refinanzierung sei ungeklärt, die Spendenbereitschaft habe deutlich nachgelassen. «Im schlimmsten Fall müssen wir unser Angebot einschränken und Arbeitsplätze abbauen.»

Sorgen, die auch Gabi Becker vom Verein Integrative Drogenhilfe in Frankfurt umtreiben. Neben höheren Personal- und Sachkosten rechnet sie mit 300 Prozent mehr Gas- und Energiekosten. «Wir werden bei einem Budget von gut 8,5 Millionen Euro voraussichtlich einen Fehlbetrag von 1,2 Millionen Euro haben.» Damit sei klar, dass der Verein, dessen Angebote laut Becker etwa 5000 Menschen nutzen, diese um 15 bis 20 Prozent kürzen müsse. «Es braucht dringend Lösungen. Das hat keine Zeit», mahnt Becker. Die Dramatik der Situation werde auf politischer Ebene nicht erkannt. «Es wird die Gesellschaft nachhaltig verändern, wenn das bestehende soziale System zusammenbricht», warnt sie.

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